Nur mit wenigen Regionen habe ich mich in den letzten Jahren so differenziert auseinandergesetzt wie mit Südtirol. Dabei ging es um die Menschen, die lokalen Produkte und Erzeugnisse, die Region als solche und selbstredend die Weine. 

Die Weine Südtirols sind in aller Munde, und das aus gutem Grunde. Der Qualitätsanspruch ist wahnsinnig hoch. Und das beim Winzer, der Genossenschaft und auch beim Verband. Nicht zuletzt freut sich der Konsument und Weinfreund über eine konstant hohe Qualität im Glas. 

Diese Mentalität – ständig das Beste zu geben und sich stetig zu steigern – zahlt natürlich nachhaltig auf die Marke Südtirol ein und macht die Region im Norden Italiens zu einer der beliebtesten Regionen überhaupt – für den Touristen wie auch Weinliebhaber. Doch der Qualitätsanspruch ist nicht das Einzige, was man hier nachhaltig und mit Akribie verfolgt. 

Südtirol ist die unangefochtene “Numero Uno” der Weißweinregionen Italiens. 64% der fermentierten Trauben werden aus weißen Rebsorten wie Pinot Grigio, Gewürztraminer, Chardonnay, Weißburgunder oder Sauvignon Blanc vinifiziert und erfreuen sich großer Beliebtheit in ganz Europa, jedoch auch in Italien, wo so feine, filigrane Weiße sonst nicht unbedingt als allererstes auf der Agenda stehen. Nicht zu vergessen die Roten, wo man sich auf seine Wurzeln beruft und mit den autochthonen Rebsorten Lagrein und Vernatsch die Herkunft auf Flaschen füllt.

Spannend – und fast ein wenig mit der Champagne vergleichbar – ist die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt von kleinen und großen Produzenten in der Region. Da gibt es zum einen eher kleine Betriebe, oft familiengeführt, die sich Jahr ein Jahr aus mit ihren eigenen Weinbergen und Reben beschäftigen um zur Lese das bestmögliche Traubenmaterial einfahren zu können. Zum anderen sind da die großen Genossenschaft, die Trauben von Vertragsweinbauern erhalten und oftmals viele Millionen Flaschen abfüllen. In einigen Ländern und Regionen gelten diese “Großen” als Produzenten minderwertiger Ware und die “Bösen”, die den Kleinen das Geschäft streitig machen. Anders in Südtirol: Man arbeitet Hand in Hand und mit der Arbeit beider formt sich eine starke Marke, eine starke Region, die trotz der verhältnismäßig kleinen Anbaufläche mit großer Vielfalt und Eigenständigkeit aufwartet. 

Terroir und die Bausteine des Südtiroler Weinbaus

Diese Diversität hat unterschiedliche Ursprünge: die Arbeit der Weinbauern und ihrer Teams im Weinberg und Keller ist natürlich omnipräsent. Doch weit davor in der Wertschöpfungskette ist es die Natur, die den Grundstein eines jedes Weinbaus legt. Der Boden mit seiner Beschaffenheit, seinen Nährstoffen und Mikroorganismen, das Klima mit seinen – leider extremer werdenden – Eigenarten und die Topographie eines Landstrichs. 

Südtirol ist mit 300 jährlichen Sonnentagen gesegnet, was der Vegetation der Pflanze und der Reife der Trauben logischerweise zuträglich ist. Läuft man durch die Weinberge, geht ab und an in die Hocke, nimmt eine Hand vom Boden auf, hat man oft einen anderen Bodentyp, andere Gesteinsart und Beschaffenheit vor sich in der Hand. Über 150 unterschiedliche Bodentypen und -formationen finden sich in Südtirol. Diese reichen von leichten und mineralischen Böden über kraftvollere bis hin zu wirklich üppigen Böden. Hier ist die Kunst, die unterschiedlichen Böden mit den passenden Rebsorten zu matchen um so die besten Ergebnisse des Anbaus zu erzielen. 

Des Weiteren liegen die Weinberge Südtirols auf 200 bis 1000 Metern über dem Meeresspiegel und werden von kontinentalen Einflüssen aus Norden dank der Alpen geschützt. Die Höhenlagen wurden einst belächelt, sind heute jedoch in Zeiten des Klimawandels mit der Erhöhung der Temperaturen in den Talsohlen und niedrigeren Lagen sehr gefragt. Glück für den, der die Vorteile der Höhenlage bereits früh erkannte und heute seine Rebstöcke weit oben kultiviert. Ein Beispiel dafür, übrigens auch früher belächelt, ist das Winzerurgestein und “Höhenweinbau-Pionier” Franz Haas. 

Südtirol in Zahlen – der Steckbrief

rund 5.000 Weinbaubetriebe
Anbaufläche: 5.500 ha
Höhenlage: 200-1000 m.ü.d.M.
Sonnentage im Jahr: 300
Durchschnittsfläche pro Betrieb: 1 ha
Biologischer Anbau: 7 %
Kellereibetriebe: 200
Beschäftigte in der Weinwirtschaft: 10.000
Flaschen Wein pro Jahr: 40.000.000
Flaschen Sekt pro Jahr: 400.000
Anteil der DOC-Weine an der Produktion: 98%

Nachhaltigkeit für eine starke Zukunft

Südtirol kann vieles. Neben den Menschen, dem Wein und der Attraktivität für den Tourismus stehen da beispielsweise der Südtiroler Speck, den auch wir deutsche lieben, der Stilfser Käse, der sich wunderbar zu Speis und Wein kombinieren lässt und der Südtiroler Apfel, mit dem ich bereits sensationelle Apfel-Tartes gezaubert habe. 

Der Wein spricht dabei eigentlich für sich selbst. Über 98% des Südtiroler Weins stehen unter DOC-Schutz, sind also Produkte mit kontrollierter Ursprungsbezeichnung und erfüllen besondere, klar definierte Qualitätskriterien wie beispielsweise der zulässige Ertrag pro Hektar oder die Rebsorte. 

Damit all dies für weitere Generationen und im Angesicht des realen Klimawandels bestehen bleibt, befasst sich gewissermaßen Jeder mit dem einen großen Begriff, der seit Jahren in aller Munde, jedoch oft nur oberflächlich betrachtet wird: Nachhaltigkeit. Und das eben nicht nur oberflächlich, sondern detailliert, differenziert und mithilfe jedes einzelnen Zahnrades, dass die gesamte Maschinerie Südtirol Tag für Tag am Laufen hält. Es geht um die Winzer und (Wein)-Bauern, die Zulieferer die ihren Teil zur Wertschöpfungskette leisten. Es geht um die Menschen, die in der Region arbeiten. 

Es geht um die Südtirol Wein Agenda 2030.

Die Südtirol Wein Agenda 2030

Diese aufwendig ausgearbeitete Agenda nimmt “die Region” an die Hand und möchte mit verschiedenen Themen und Maßnahmen bis 2030 einen Grundstein für eine nachhaltige, lohnenswerte Zukunft in Südtirol mitsamt seinen Produkten legen.

Kaum ein anderes Thema ist in den letzten Jahren so oft thematisiert worden, kaum ein Begriff öfter gefallen. Das gilt für Wein, Speisen und den Lebensstil. Oft wird bei Nachhaltigkeit jedoch recht kurz gedacht, obwohl die Maßnahmen oft im Long-Run beginnen zu wirken. Ökonomisches, Ökologisches und Soziales sind die drei Pfeiler, in die sich Nachhaltigkeit per Definition einordnen lassen. Dabei steht kein Pfeiler für sich, viel mehr ergänzen und verschmelzen sie. 

In der knapp 30-seitigen Wein Agenda von Südtirol werden diese drei Pfeiler betrachtet und an einigen Stellen so erweitert, dass der Blick auf das Thema allumfassender und realistischer ist. Zur Hilfe hat man sich fünf verschiedener Aktionsfelder mit 12 Meilensteinen gesetzt, die ebenfalls an vielen Stellen ineinander übergehen oder sich ergänzen. Einige sind einfach, mit wenig Aufwand umzusetzen, andere strategisch und langfristig gedachte und wieder andere erfordern ein rudimentäres Um- und Neudenken eingefahrener Muster.

Möchte man vorgreifen, beschäftigt man sich im Land vor allem mit Daten, dem optimalen, gezielten und nachhaltigen Einsatz von Ressourcen und “kurzen Wegen”. 

Wie schon erwähnt, ist der Boden ein elementarer Bestandteil des Weinbaus. Vielerorts hat dieser gelitten oder wurde nicht so behandelt, wie es wohl langfristig sinnvoller gewesen wäre. Besonders wichtig ist daher die nachhaltige Pflege und das Wassermanagement, um den Boden mit möglichst allen relevanten Nährstoffen zu versorgen. Dazu gehört auch der Verzicht jeglicher Art von Stickstoffdüngern. Der Verzicht von mineralischen Stickstoffdünger und gleichzeitige Einsatz von organischen Gründüngern minimiert die zurückbleibenden Schadstoffe im Boden und unterstützt die Natur. Die Böden werden fruchtbarer und sauberer. Ebenfalls relevant für die Böden ist die Bewässerung, die in Südtirol erlaubt ist. Mithilfe von Tröpfchenbewässerung kann eine gezielte und kontrollierte Bewässerung des Bodens stattfinden und zur Gesundheit des Bodens und auch der Rebe beitragen. 

Das Ergebnis: Weniger Schminke, mehr Terroir und Authentizität im Glas.

Die Rebe kann sowohl Leidtragender, als auch Profiteur vom Boden und seiner Vitalität sein. Lange Zeit standen – international – Erträge im Fokus des Handelns. Heute ist es der Schutz der Rebe. In Südtirol möchte man die Reben deshalb zukünftig möglichst naturnah behandeln und so die Stärke der Pflanze fördern. Synthetische Mittel sollen aus dem Weinberg verbannt werden, im Umkehrschluss die Biodiversität erhöht. Gefördert wird dadurch natürlich auch der gesamte Bioorganismus im Weinberg, was sich schließlich auch positiv auf das fertige Produkt auswirken kann. Eine gesunde Rebe mit der entsprechenden Versorgung aus dem Boden ist ein langfristiger Garant für gutes Traubenmaterial – das Wetter sei hier ausgeklammert – und weit weniger anfällig für Krankheiten jeglicher Art, da sie ein stärkeres Imunsystem und somit Abwehrkräfte hat, um mit einer Vielzahl von Störenfrieden selbstständig klarzukommen. 

Ein Pionierprojekt wurde bereits 2011 von fünf Genossenschaften ins Leben gerufen, das sich dem Pflanzenschutz verschrieben hat und seit jeher Daten sammelt, auswertet und darauf basierend Aktionen für den nachhaltigen Pflanzenschutz initiiert. Heute beteiligen sich 1700 Betriebe aus Südtirol, bringen große Datenmengen und somit neue Ansätze und Denkanstöße mit ein. Nur wenn alle mitmachen – das gilt beim Thema Klimawandel übrigens generell – lassen sich langfristig gute und nachhaltige Ergebnisse erzielen. 

Wenn der Boden gesund und die Pflanze mit all den notwendigen Nährstoffen versorgt ist, und wenn dann noch das Wetter in einer Saison mitspielt, werden Weine mit der Handschrift der Region, der Lage und des Winzers auf die Flasche gebracht. Bis der Wein jedoch auf der Flasche ist, wird eine Menge Energie, Wasser und Schweiß benötigt. Wichtig und elementar für die nachhaltige Entwicklung des Südtiroler Weinbaus ist somit auch der Energie- und CO2-Fußabdruck, den man entlang der Wertschöpfungskette vom Zulieferer bis hin zur verkauften Flasche Wein hinterlässt. Daraus resultiert der Wille zum Klimaschutz, den man mit eigenem Klimaprogramm verfolgt: Hier geht es zum einen um den Schutz des Klimas, wie auch die Anpassung und den Schutz des Südtiroler Weinbaus an das sich ändernde Klima. Zwar hat Südtirol durch seine Lage und Topographie – mit Lagen bis über 1000 Metern – gute Vorraussetzungen um auch mittelfristig dem Klimawandel zumindest ein wenig zu trotzen, dennoch muss bedacht werden, dass natürlich nicht alle Winzer und Weinbauern auf Höhenlagen mit kühleren Temperaturen zurückgreifen können. Ein aktives Einbringen und Mitwirken aller ist also absolut essentiell.

Es geht darum, ein Bewusstsein für die aktuelle und zukünftige Lage zu schaffen. Und die zukünftige ist eine, die vielen Menschen in den Folgegenerationen existenzbedrohende Steine in den Weg werfen kann. Möchte man ein Bewusstsein schaffen, hat es fast schon etwas mit Marketing zu tun: man muss Themen kommunizieren, ansprechend präsentieren und so bewerben, dass die Relevanz der Nachricht bei wirklich jedem Sender ankommt. 
Innerhalb der Region Südtirol wurden die Weinbauern, Winzer und “Zulieferer” befragt, welches Thema die größte die Herausforderung an der nachhaltigen Entwicklung des Südtiroler Weinbaus sei. Die Nachhaltigkeit selbst? Den Klimawandel aufhalten? Die Böden gesund pflegen? 

Nein. Die größte Herausforderung sei es, eine Sensibilität und ein Bewusstsein für das Thema als großes Ganzes in den Köpfen der Südtiroler zu schaffen. Schafft man das übrigens, ist dies wiederum ein mächtiges Tool für das Marketing des Konsortiums! Wo bereits von Zulieferern und der Region als Ganzes gesprochen wurde, bildet das “Land” den letzten der fünf Pfeiler und Aktionsfelder der Südtiroler Wein Agenda.
Die Südtiroler sind heute in aller Munde und erfreuen sich enormer Beliebtheit. Regelmäßig findet sich ein Stück Südtiroler Speck oder Käse in meinem Kühlschrank, den ich gerne im Sinne von “what grows together goes together” mit einem Glas Südtiroler Wein genieße. Zuletzt sogar in Südtirol im wunderbaren Miil Restaurant in Tscherms nahe Bozen, wo es in entspannter Runde im fabelhaften Ambiente der Außenterrasse sensationellen Schinken zu feinem Südtiroler Organic Wein gab. 

All diese Produkte haben ihren Ursprung in Form von Tieren und der Natur und landen mithilfe unterschiedlicher Wertschöpfungsketten in den Regalen und Kühlschränken der Verbraucher. Noch vor zehn Jahren war es nicht unüblich – da man natürlich versucht kostensparend zu arbeiten – die günstigere Produktionsoption zu wählen, auch wenn diese gegebenenfalls 250km entfernt ist. 

Heute weiß man dies besser: es geht um Qualität und ein Image, das damit einhergeht. Diese Qualität und das daraus resultierende Image lässt sich weitaus besser sicherstellen, wenn man die regionale Kreislaufwirtschaft mit lokalen Produzenten und kurzen Wegen nutzt. Mit diesem Fokus auf die regionalen Stärken, lassen sich alle Arbeitsschritte lokal abbilden und sich bereits innerhalb der hier aufgezeigten fünf Pfeiler Erfolge und Synergie erzielen. 

Author

Björn Bittner ist der Gründer von BJR Le Bouquet. Im Magazin beschäftigt er sich mit den Themen Premium-Kulinarik, Luxus und Lifestyle. Bon Vivant!

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