“La plus ancienne Maison de Vins de la Champagne”, was so viel heißt wie “das älteste Weinhaus der Champagne”. Dafür steht Gosset mit seinem Namen und das schon seit dem Jahr 1584. Bis heute ist das Unternehmen familiengeführt und wird seit dem letzten Jahrhundert von der Familie Cointreau verwaltet und betrieben. Doch eins nach dem anderen.
Es ist ein heißer Morgen im Juni. Die Sonne scheint mir bereits um 08:30 mit voller Kraft auf die Nase, als ich vor dem Hotel in Reims auf Philippe Anthony von Champagne Gosset warte.
Auch wenn ich die Champagne wirklich oft besuche – keine andere Region habe ich bisher so oft besucht – werde ich niemals müde von diesem Flecken Erde, seinen Menschen und den Erzeugnissen, die man dort mit voller Hingabe in mühsamer Arbeit fertigt.
Der Besuch bei Gosset wird ein spannender, warum? Bereits 2018 habe ich die Maison im Rahmen der #MYCHAMPAGNE-Reise in Epernay besucht und das volle Programm samt Führung, Tasting und Lunch erhalten. Das Problem war allerdings, dass ich zum Zeitpunkt des Besuchs erst einen Tag aus dem Krankenhaus entlassen war, die Weisheitszähne mussten raus. Entsprechend überschaubar war die Verkostung und der Lunch, wo ich eher physisch mit Hamsterbacken beiwohnte und mich auf meine Erinnerungen an Gosset-Champagner verlassen musste. Umso schöner war es nun im Juni, die Maison im Vollbesitz meiner sensorischen Kräfte zu besuchen, und dann noch als die erste offizielle Reise nach dem monatelangen Lockdown.
Nachdem mich Philippe pünktlich eingesammelt hat, geht es ohne Umwege auf die Terrasse mit dem besten Blick in der ganzen Region. Bei Croissant, Kaffee und 180° Panoramablick im Royal Champagne gibt es einen kleinen Rundumschlag zu Gosset und der Familie Cointreau, die neben dem edlen Schaumwein auch noch Cognac und Wodka auf die Flasche bringen. Der Wodka – Cobalt – wird übrigens aus Trauben aus der Montagne de Reims hergestellt. Noch mehr erfahre ich von Geschäftsführer und Eigentümer Jean-Pierre Cointreau selbst, den ich zum Lunch im Henri IV treffe. Was nicht fehlen darf? Natürlich die ein oder andere Flasche Gosset – ob zum Aperitif die “Grand Reserve” oder den “12 ans de Cave a Minima” zum Steak Tartare mit Frites.
Nächster Halt ist die Maison in Epernay. Bis vor einigen Jahren hatte die Maison ihren Sitz im Gründungsort Aÿ, wo auch heute noch Flaschen gelagert werden, die “auf der Hefe liegen”. Aufgrund von zu geringer Kapazität hat man sich schließlich entschlossen, den Sitz der Maison in die nahegelegene Stadt Epernay zu verlegen und so mehr Raum und Möglichkeiten für die Weinbereitung zu haben.
Die Maison selbst ist klassisch, stilvoll und elegant und von einem gepflegten Park mit Mauer umgeben. Hier und da sieht man kleine “Schornsteine”, die auf die Keller hinweisen, die einige Meter unter dem Park den Schatz von Gosset beheimaten. In Sachen Funktionalität ist das Weingut natürlich auf Effizienz ausgelegt und auf die hausinternen Abläufe zugeschnitten – eingerichtet und ausgestattet von Head-Winemaker und oberstem Verantwortlichen aller Prozesse im Weingut, Odilon De Varine. Er begann vor 12 Jahren zunächst als Directeur géneral und setzte nach dem Tod seines Vorgängers Jean-Pierre Mareigner im Jahr 2016 – J-P Mareginer war ganze 30 Jahre für Gosset tätig war – die Arbeit im Keller fort.
Weinstil – Der Stil des Hauses
Ist man auf einem Weingut zu Besuch, schaut sich sowohl Weinberge als auch den Keller an und spricht mit dem Team, stellt man (sich) recht schnell die Frage nach dem hauseigenen Weinstil. Der Charakteristik der Weine. Der eigenen Handschrift, die man dem fermentierten Traubensaft verpasst.
Und ist man bei Gosset, kann man wirklich von einem Wein-Stil sprechen. Natürlich ist der Champagner von Gosset ein Schaumwein, dennoch legt man hier großen Wert darauf zu betonen, dass man zunächst einen Wein, einen Stillwein herstellt, der schließlich seine Vollendung in Form von Bubbles und Zeit auf der Flasche erhält.
Die Champagner von Gosset sind präzise, geradlinig und weinig. Das riecht und schmeckt man. Mit ein wenig Erfahrung merkt man schnell, dass das Entkorken der Flasche einige Zeit vor dem Genuss den Stil des Hauses noch stärker herauskehrt. Wer mutig ist, greift zur Karaffe, karaffiert beispielsweise die Grand Reserve in einer schmalen Weißweinkaraffe und kann so neue Facetten an der Cuvée entdecken.
Ein weiterer Fingerabdruck den man den Cuvées aufdrückt ist das Unterdrücken der “Malo” – der malolaktischen Gärung – bei der die oft als spitz wahrgenommene Apfelsäure mithilfe von Milchsäurebakterien in die mildere Milchsäure umgewandelt wird. Wem dieser Begriff nichts sagt: dieser Vorgang wird auch biologischer Säureabbau genannt.
Bei Gosset unterdrückt man diesen Vorgang und “behält” die Apfelsäure bei. Weshalb? So wird dem Schaumwein keine “Fülle” und neue Aromen hinzugefügt, außerdem bleibt die Frische und Frucht der Rebsorten klar erhalten und steht im Vordergrund, was dem Stil des Hauses weiteren Ausdruck verleiht, wie man später bei den Verkostungsnotizen sehen wird.
Spannend und ein USP der Maison: wer sich die Flaschen – oder soll ich besser sagen Flakons – der Cuvées genauer anschaut, merkt schnell, dass die Flaschenform eine besondere und einzigartige ist. Kein anderer Produzent in der Champagne nutzt diese “Antike Flasche”, die erstmals 1760 erwähnt und von Jean Gosset verwendet wurde. Sie war bereits damals Eigentum der Familie und fand sich in einer Sammlung alter, antiker Flaschen im Hause Gosset. Bis heute wird die originalgetreue Nachbildung mit ausladendem Bauch und elegantem Kragen für die Champagner der Maison genutzt.
Unbedingt erwähnenswert ist die starke Präsenz von Gosset in der Gastronomie – ob gehoben oder gourmet. Vielerorts findet man die Cuvées des Hauses auf den Aperitif- und Weinkarten, oftmals wird beispielsweise die Grande Reserve “by the glass” serviert. Und damit sind wir bei einer weiteren Stärke des Hauses: die (Schaum)Weine der Maison Gosset sind wunderbare Speisenbegleiter und bereichern ein breites Spektrum an Leckereien. Ob es die Grande Reserve zur Poularde, der Blanc de Blancs zur Meeresfrüchteplatte oder der Rosé zum heiß gegrillten oder beerigen Dessert – ein mehrgängiges Menü lässt sich mit Leichtigkeit und feiner Subtilität mit den Champagnern von Gosset begleiten.
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